Zuhause in der Wildnis
Alle zwei Jahre vergibt der Wildpark-MV in Güstrow einen Umwelt-Literaturpreis. 2015 hat Cornelia die Laudatio für die Gewinnerin gehalten und später dann den Park auch selbst besucht. Davon war sie so begeistert, dass sie sagte: Da müsst ihr auch mal hin, euch das anschauen und die Leute kennenlernen.
Abends um neun hat es endlich aufgehört zu regnen. Draußen vor der Hütte fressen sich in der großen Eisenschale langsam die Flammen am trockenen Holz hoch. Als das Feuer brennt, reicht sein Schein nur einen Steinwurf weit in den Wald. Dahinter bleibt es finster zwischen den Bäumen.
„Ihr könnt euch gerne ein Feuer machen“, hatte Klaus Tuscher, Leiter des Wildpark-MV Güstrow, gesagt und Beil, Streichhölzer und Anzünder dagelassen.
Das Feuer hilft ein bisschen gegen die Kälte der Nacht. Später aber wird es nichts mehr bringen. In der Hütte des Wildparks gibt es noch keinen Ofen. Es gibt einen groben Holztisch, an den Wänden ein paar Geweihe, ein selbstgezimmertes Stockbett mit Isomatten und Strohsäcken, und es gibt das Gefühl, ein echter Trapper zu sein, allein irgendwo in den Wäldern. Aber nicht ganz allein.
Nachdem es dunkel geworden war, hatte es nicht lange gedauert, bis der erste sich im Schein des Feuers zeigte. Es ist klar, was er vorhatte. Sehen, wer da ist, schauen, ob Gefahr droht oder Beute zu machen ist. Beides nicht. Denn es steht ein Zaun zwischen der Hütte und ihnen.
Nena und Nevin, Acon, Nodin, Peter, Lucie und Naja. So heißen die Wölfe des Wildparks in Güstrow. Und die Trapperhütte steht mitten im riesigen Gehege des Rudels. 40.000 Quadratmeter für die Wölfe, die Parkleiter Klaus so sehr am Herzen liegen.
"Sie sind uns Menschen sehr ähnlich (Familie, Gefühle, Intelligenz, Zusammenhalt usw.), unterscheiden sich aber auch deutlich von uns (keine abartigen Verhaltensmuster wie zum Beispiel Mobbing). Ihre Sprache ist klar und eindeutig. Im Mittelpunkt steht ihr Rudel und ihr Dasein. Sie achten ihre Umwelt, auch wenn sie Raubtiere sind. Wir Menschen sollten von ihnen lernen."
Am Tag waren die Wölfe lange auf Abstand geblieben. Von den Holzpfaden aus,
die in zwei, drei Metern Höhe durch ihr Revier führen, hatten sie sich kaum blicken lassen. Es war dasselbe wie später in der Nacht.
Einer war zwischen den Bäumen aufgetaucht, hatte kurz in die Luft geschnuppert und geguckt, und kaum war er wieder verschwunden, stand der nächste da. „So machen die Wölfe sich ein Bild von dem, was passiert. Sie schicken einen voraus, einen Späher sozusagen.“, erzählt Reinhard Jänsch, Umweltpädagoge im Wildpark. Reinhard hat etwas dabei, dem die Wölfe dann doch nicht widerstehen können. Sie können es riechen.
Dass Rainer das Fleisch sorgfältig in einer Plastiktüte verpackt hat, ändert daran nichts. Als er das Fleisch aus der Tüte nimmt, dauert es nur Sekunden und sie sind alle da. Aber die Wölfe stürzen sich nicht alle zusammen und wild auf das, was Rainer ihnen herunter wirft. Schnell und wendig, aber doch wachsam und voller Vorsicht, geduckt und mit angelegten Ohren schnappt sich jeder von ihnen seinen Teil der Beute.
Dieses Bild begleitet in der Nacht den letzten Blick aus dem Fenster der Hütte: die Wölfe sind da, auch wenn du sie nicht siehst. Und später sind sie auch zu hören. Es klingt wild. Das ist es. Schwer zu beschreiben. Und schwer zu fassen. Und trotzdem ist die Botschaft klar. Das hier ist unser Revier. Und in dem können die Wölfe so leben, wie es ihrer Natur entspricht.
Das nächtliche Geheule stört Fred und Frode längst nicht mehr. Es stört sie auch nicht, als Petra morgens mit dem Besen in ihr Schlafzimmer kommt. „Morgen, Jungs!“ Sie bleiben einfach liegen, der eine dicht an den anderen gekuschelt und schlafen weiter. Der eine gähnt, der andere schnarcht ein bisschen.
Das wirkt so friedlich und niedlich, dass dabei der Wunsch aufkommen kann: Da leg ich mich doch ein bisschen dazu. Wäre aber nicht so klug, das zu probieren.
Petra kennt die Bärenbrüder Fred und Frode bestens und weiß bei aller Nähe zu den Tieren, welchen Abstand auch sie zu halten hat.
„Normalerweise liegen zwei erwachsene Braunbären nicht so dicht zusammen. Aber die beiden hier schon, die mögen das gerne.“
So wie Äpfel und Aal zum Frühstück. Die schmeißt Petra ihnen aus einem Eimer heraus ins Gehege, nachdem die beiden dann doch ihre gewaltigen Hinterteile aus dem Stroh gehoben hatten und nach draußen getrottet waren.
Während Fred und Frode Äpfel und Aale verschlingen, gibt es auch bei den Fischen Frühstück. Die leben in mehreren Aquarien und in der nachgebildeten Bachlandschaft, die sich durch das Umweltbildungszentrum des Parks zieht. Biologin Josefine Vater füttert gerade die Regenbogenforellen. Sie hält kleine Krebse ein Stück über der Wasseroberfläche und aus dem Wasser heraus schießen blitzschnell die Forellen und reißen ihr das Futter aus den Fingern.
Manche beißen ihr mit ihren spitzen Zähnen in den Finger und halten sich einen Moment daran fest. „Dagegen sind Piranhas richtige Schisser. Die gehen nämlich nur an tote Tiere. Es ist ein Ammenmärchen, dass Piranhas Killer sind.“
Josefine kann ganz hervorragend das, was die Fische nicht können: erzählen.
Dass der Giebel ohne Männchen auskommt, der Stöhr ein Pazifist ist und nicht unbedingt der Hellste, und von Ernie dem Kämpfer. Ernie ist eine Rotfeder. Ein Graureiher hatte ihm die Seite aufgeschlitzt. Die Wunde sah schlimm aus, aber Ernie hat sich nicht klein kriegen lassen. Er schwimmt immer noch.
Von Ernie zu Berta. Sie schwimmt nicht, sie fliegt. Aber auch das gerade nicht.
Weil sie auf Reinhards Arm sitzt. Genauer gesagt auf seinem Greifvogel-Handschuh. An den hat er Berta mit einem Lederriemen gebunden. Und dann erzählt er ein bisschen von seinen Federfreunden.
„Berta ist ein Uhu. Der Uhu, das ist die größte Eulenart der Welt. Berta jagt neben Ratten, Mäusen und Igeln auch Greifvögel, Hasen oder Größeres. Waldohreulen-Kollege Udo jagt dagegen eher kleine Beute, weil er alles gleich auffuttern muss. Ein Uhu wie Berta legt auch Vorräte an“, sagt Reinhard und erzählt die schöne Geschichte, die ihn persönlich mit den Eulen verbindet. „Bei uns zu Hause auf dem Bauernhof gab es damals so einen gebeugten Opa. Er ist nach dem Krieg aus der Gefangenschaft gekommen und hatte kein Zuhause mehr. Da ist er bei uns geblieben und hat bei uns gearbeitet. Und der hat mir auch diese Nähe und Liebe zur Natur rübergebracht. Von ihm wusste ich zum Beispiel, dass Eulen auf dem Kornspeicher sind. Und dass die Schleiereule Regenwetter nicht mag. Wenn die sich einen Nahrungsvorrat hingelegt hat, hat er immer gesagt, pass auf, morgen fängts an zu regnen. Und in der Regel stimmte das dann auch.“
Kaum hat Rainer die Geschichte erzählt, fallen die ersten Tropfen auf Bertas Federn. Es dauert nicht lang, da wird der Regen stärker. Rainer trägt Berta ins Trockene zurück, die Luchse verkriechen sich unter den Bäumen, Fred und Frode trotten zurück ins Stroh und die Wölfe rotten sich irgendwo zusammen, wo sie nicht gleich ganz durchweichen.
Nur den Wildschweinen, denen ist das Wetter offensichtlich völlig egal.
Sie heben kurz mal den Rüssel aus dem Boden, lassen ein Grunzen hören und schmatzen dann weiter.
*** Nachtrag: Ende April 2016 sind im Park wieder fünf kleine Wolfswelpen zur Welt gekommen. Sie heißen Angelika, Liane, Petra, Reinhard und Klaus.
Zu dieser Geschichte gibt es 1 Kommentar
Einen Kommentar hinterlassenDas klingt wirklich zauberhaft, dort muss ich unbedingt auch mal hin, falls sich die Gelegenheit bietet! Es erinnert mich an einen Wildpark bei mir in der Nähe, Bad Mergentheim, auch sehr zu empfehlen!