Die Wilden Hühner und das Glück der Erde
Ferien auf dem Reiterhof. So ein Mädchending ist für Sprotte eigentlich gar nichts. Zusammen mit den anderen Hühnern wird es aber doch erstaunlich schön. Ein Heuboden ist außerdem eine hervorragende Theaterbühne.
Sprotte kann es nicht fassen: Sie soll ihre Ferien auf einem Reiterhof verbringen. Obwohl sie von Pferden nicht das Geringste hält. Zum Glück kommen wenigstens auch alle anderen Wilden Hühner mit, und bald merken die fünf Freundinnen, dass an dem Spruch vom "höchsten Glück der Erde" etwas dran ist.
Wer hätte gedacht, dass man sich beim Reiten so wunderbar leicht fühlt, fast schwindelig, und einem die Pferde so ans Herz wachsen können. Mit dem Herzen ist das überhaupt so eine Sache. Die Jungs von der Pygmäen-Bande sind nämlich auch mit von der Partie, und das hat zur Folge, dass Melanie Sehnsucht nach Willie hat und Theorien übers Küssen verbreitet. Wilma, Frieda und Trude proben "Romeo und Julia" im Pferdestall - und dann verliebt sich Frieda auch noch. Das kann Sprotte natürlich nicht passieren, glaubt sie jedenfalls ...
- Erstmals erschienen 1998
- Lesealter Ab 9 Jahren
- Illustriert von Florentine Prechtel
- Verlag Dressler
- Erhältlich bei genialokal.de
- Auch erschienen als Hörbuch · Taschenbuch · eBook
Die Sonne schien Sprotte ins Gesicht, als sie aus der Schultür trat. Es war ein wunderschöner Herbsttag. Der große Pausenhof war rot und gelb vom Laub und die Luft schmeckte so warm, als klebe der Sommer noch an den Häusern. Aber Sprotte stapfte mit so finsterer Miene zu ihrem Rad, dass zwei Erstklässler ihr erschrocken aus dem Weg gingen. Son-ne! Bunte Blätter!, dachte sie verächtlich, während sie den Rucksack unter ihren Gepäckträger klemmte. Ich will Regen, kübelweise Regen und grauen Himmel. Zu so einem Unglückstag passt kein schönes Wetter. »Bis morgen!«, rief ihr irgendjemand zu, aber sie hob nicht einmal den Kopf. Wortlos stieg sie auf ihr Rad und machte sich auf den Heimweg.
»Fünf minus!«, murmelte sie, als sie ihr Rad in den Hausflur schob. »Das ist immerhin eine Verbesserung zum letzten Mal. Obwohl sich Sechs plus netter anhörte.« Müde schloss sie die Wohnungstür auf und hängte ihre Jacke an die Garderobe. »Na endlich!«, rief ihre Mutter aus der Küche. »Hier wartet ein wunderbares Festmahl auf dich und du brauchst eine halbe Ewigkeit für deinen Schulweg. Was war denn los?« »Ach, gar nichts!«, antwortete Sprotte. Was sollte sie auch sonst sagen? Mit einer Fünf hat man es nicht besonders eilig, nach Hause zu kommen. Nein. Ihre Mutter wusste nichts von der Sechs plus, und von der Fünf minus würde Sprotte ihr auch nichts sagen. Denn sonst war es vorbei mit den Treffen der Wilden Hühner, mit den gemütlichen Nachmittagen in ihrem Bandenquartier und all dem, was im Leben Spaß machte. Stattdessen würde Sprotte sich wieder mit diesem muffigen Englisch-Nachhilfelehrer herumstreiten müssen. Nein, noch bestand kein Grund zur Panik, überhaupt nicht. Das waren Ausrutscher, nichts als zwei Ausrutscher. Wenn sie sich das nur oft genug sagte, würde sie es schon irgendwann glauben.
Bevor Sprotte in die Küche ging, blieb sie noch schnell vorm Spiegel stehen und zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sehr überzeugend fiel es nicht aus, aber ihrer Mutter schien das nicht aufzufallen. »Ich glaube, ich stell alles noch mal in den Backofen«, sagte sie, als Sprotte sich zu ihr an den Tisch setzte. »Oder magst du kaltes Moussaka?« »Kein Problem«, murmelte Sprotte und musterte ungläubig die Köstlichkeiten auf ihrem Teller. »Du hast Essen beim Griechen bestellt? Mitten in der Woche?« »Ja, wieso nicht? Ich glaube, wir leben seit fast einer Woche nur von Pommes frites und Tiefkühlerbsen.« Ihre Mutter zupfte verlegen an der Tischdecke. Tatsächlich, auf dem Küchentisch lag eine Tischdecke. Sprotte hatte nicht mal gewusst, dass sie so etwas besaßen. Beunruhigt runzelte sie die Stirn. »Mam, was ist los?«, fragte sie. Ihrer Mutter verrutschte das Lächeln. »Was soll los sein? Ich dachte, wir machen es uns mal wieder so richtig nett. Weil ich die ganze Woche so wenig Zeit hatte.« Sprotte stocherte in ihrem Moussaka herum. Sie glaubte kein Wort.
Viel Zeit hatten sie doch nie füreinander gehabt. Seit Sprotte denken konnte, arbeitete ihre Mutter als Taxifahrerin. Um Geld zu verdienen, denn Sprottes Vater hatte sich davongemacht, als Sprotte gerade sechs Monate alt war. Trotzdem hatten sie es immer nett miteinander gehabt, sehr nett sogar. Aber dann war der Klugscheißer aufgetaucht. Kaum ein halbes Jahr war das nun her, und seitdem war alles anders. Früher war Sprotte jeden Sonntag zu ihrer Mutter ins Bett gekrochen. Sie hatten zusammen gefrühstückt, den Fernseher ans Bett gestellt und sich alte Filme angesehen. Aber seit dieser Kerl sich unter der Decke breit gemacht hatte, mied Sprotte das Schlafzimmer ihrer Mutter, als hausten Klapperschlangen darin.
Weitere Teile der »Die Wilden Hühner«-Serie